06 Mai Pflanzen gegen Zombies oder Carpaccio aus Mairübchen
In der Gastronomie gibt es viele Klischees. Manches gilt als besonders schmackhaft, das andere nicht. Manche Lebensmittel gelten als besonders gesund, und die anderen – auf keinen Fall. Einige Rezepte sind der großen Köche würdig. Andere sind nur für Plebejer vorbestimmt, aber werden dadurch viel interessanter als Stereotypen. Die Stereotypen sind schließlich da, um die zu zerstören.
In der Welt gibt es nur eine Person, die mit dem Gemüse sprechen kann, und der ist sicherlich kein Heiliger. Er ist nicht mal ein Vegetarier. Sein Name ist Alain Passard. Er ist ein Meister der Verführung von Frauen auf einer Party. Der Weinkonsum spielt erst ab zwei Flaschen überhaupt eine Rolle. Er spielt Saxophon und zwar ziemlich ungezügelt, aber meistens ist er ein Koch, ein talentierter Koch. Solche Köche gab es in der Weltgeschichte höchstens ein Dutzend. Aber keiner von ihnen konnte mit Tomaten und Rüben sprechen. Nur Passard. Der Koch des Restaurant L’Arpege.
Dreißig Jahre lang kochte er das Fleisch. Seine Ente war das gastronomische Symbol von Paris. Für sein Steak flog man mit der “Concorde” aus New York. Bis eines Tages er einfach nicht mehr in der Lage war sein Tranchiermesser zu holen. Er fühlte keine Abneigung gegen Fleisch selbst, sondern nur gegen das Herstellungsverfahren – das anatomische Schauspiel eines Schlachthofes. Der Koch ist eine Fleisch-Maschine, der Tod ist sein Brot, er arbeitete mit einem Messer seit Tausenden von Jahren, wie ein Zombie. Passard wollte nicht länger ein Zombie sein. Und er leerte die Fleischkühlschränke in seinem Restaurant, änderte sein Konzept und begann das Gemüse zu kochen.
Als Ergebnis dieser Veränderung verlor Passard drei Michelin-Sterne und die gesamte Kundschaft. Stattdessen kaufte er einen Garten im Stil Ludwig des Großen. Er hat zwei Hektar mit Kräutern, Radieschen und all dem anderen Grünzeug bepflanzt. Er beschäftigte sich mit Agrarwissenschaft, Saisonkalender und verbrachte Wochen und Monate in der Pflanzengesellschaft, um ihre Gerüche, Temperament, Geschmack und Farbe zu studieren.
Das Gemüse gut zuzubereiten ist keine einfache Sache. Sie sind farbenfroh, aber verlieren die meisten Farben in der Verarbeitung, ihrer Gerüche sind flüchtig und instabil und der Geschmack kann schnell langweilig werden. Jedoch war es für Passard eine große Herausforderung, sich gegen das Fleisch zu stellen und Gemüse zu wählen, er konnte endlich Dinge sehen, wie sie wirklich sind: unendlich.
Er behandelt das Gemüse so zart, als ob die ein Museumsgegenstand wären. Er weiß, wenn man Paprika mit etwas Flüssigkeit bei niedriger Hitze zubereitet, dann verliert es nicht an Farbe, sondern im Gegenteil, gewinnt sogar an inneren Licht. Er nutzt geschickt deren eigenen Ressourcen: die Süße der Tomate, die Säure der Zwiebel. Offenbar verbrachte Passard viel Zeit in Pflanzengesellschaft und hat deren Sprache gelernt. Dennoch hat er nicht aufgehört das Fleisch zu essen, er hat das Fleisch nur aus seinem beruflichen Interesse ausgeschlossen. Und mit seiner einzigartigen Idee hat er wieder sein Michelin-Konto aufpoliert. Die vegetarische Version seines Restaurants hat auch drei Sterne erlangt.
Es ist wichtig – frei zu sein in dem starren Rahmen. Ungefähr die gleichen Gründen hatten die Alchimisten schon vor langer Zeit gesagt, dass man nur die Dämonen anbeten sollte, die man rufen kann.
Carpaccio von Mairübchen
Zutaten:
Mairübchen 200 gr
Butter 50 gr
Petersilie 15 gr
Basilikum 10 gr
Olivenöl 50 ml
Parmesan 50 gr
Zitronensaft 20 ml
Prise Meersalz
Prise Schwarzer Pfeffer
Zubereitung:
Mairübchen geschält und in dünne Scheiben schneiden und bei schwacher Hitze in einer Pfanne köcheln lassen, mit geschmolzener Butter – bloß kein Salz, kein Zucker. Mairübchen braucht 5-6 Minuten in der Mischung aus Saft und Öl. Die Pfanne vom Herd nehmen und kurz stehen lassen.
Die Scheiben auf einem Teller ausbreiten. Olivenöl mit ein paar Tropfen Zitronensaft schlagen und das Gemüse mit der Mischung übergießen. Fein gehackte Petersilie und Basilikum, geriebener Parmesan, frisch gemahlener schwarzer Pfeffer und grobe Meersalz darüber streuen. Eine Prise Pinienkerne erzeugt eine Geschmacksdifferenz zwischen der Textur der Gemüse und Nüsse.